Ein Zwischenruf-Interview des Luxemburger Erzbischofs Jean-Claude Hollerich

„Die Flüchtlingsproblematik kann nur europäisch gelöst werden“

Mit sieben Zwischenrufen auf katholisch.de schaltet sich "Justitia et Pax" in die Debatte vor der Wahl ein. Im zweiten Beitrag kommt der Erzbischof von Luxemburg zu Wort. Jean-Claude Hollerich ist seit 2014 Präsident der Konferenz der Europäischen Justitia-et-Pax-Kommissionen, die ihre Konzertierte Aktion 2017 unter das Motto „Europa am Scheideweg“ gestellt haben.

Herr Erzbischof, die Konzertierte Aktion steht 2017 unter dem Motto „Europa am Scheideweg“. Was sind aus Ihrer Sicht die Perspektiven für Europa - im besten und im schlechtesten Fall?

Hollerich: Ich hoffe, dass das Jubiläum der Römischen Verträge, die vor 60 Jahren unterschrieben wurden, dabei hilft, wieder neue Fundamente für ein Zusammenleben in Europa zu legen. Bei den jungen Menschen sieht man, dass dieses Zusammensein, Zusammenleben, Zusammenarbeiten normal geworden ist. Wenn sich die EU nicht weiterentwickelt, dann zerfällt sie wieder, doch das wäre für Europa das allerschlechteste, was es gibt. Eine schlechte Union ist immer noch besser als keine Union.

In dem Text der Konzertierten Aktion ist von einer europäischen „Zeit des Zweifels und der Ungewissheit“ nach dem Brexit-Referendum die Rede. Nun ist die Wahl Donald Trumps ein halbes Jahr vorbei, die französische Präsidentschafts- und die deutsche Bundestagswahl stehen bevor. Sind das Ereignisse, die noch mehr Zweifel und Ungewissheit hervorrufen?

Hollerich: Die Wahl Trumps müsste eigentlich ein Aufruf an die Europäer sein, mehr zusammenzustehen und die sogenannten europäischen Werte mehr mit Leben zu füllen. Unsere Art, die Demokratie zu leben, ist anders als in den USA. Aber obwohl Herr Wilders bei den niederländischen Parlamentswahlen keine Mehrheit bekommen hat, ist der Populismus auch in Europa stark. Man sieht es an der AfD. Dennoch ist Deutschland ein Anker der politischen Stabilität in Europa, wo die Demokratie sich gerade als wehrhaft zeigt. Ich kann mir bei den Spitzenkandidaten der großen Parteien eigentlich kein Abdriften von Europa vorstellen.

Wobei in Frankreich die Wahrscheinlichkeit, dass Marine Le Pen Präsidentin wird, nicht so gering ist, dass man sich beruhigt zurücklehnen könnte…
 
Hollerich: Nein, da kann man sich nicht zurücklehnen. Niemand in Europa dachte, dass der Brexit käme. Niemand dachte, Trump könnte gewählt werden. Beides ist geschehen und es bestehen Chancen, dass Frau Le Pen gewählt werden könnte. Es liegt auch daran, dass sie ihre Leute mobilisieren kann, während die anderen Lager entweder zersplittert sind oder mit Korruptionsvorwürfen zu kämpfen haben. Wenn Frankreich eine Präsidentin des Front National hätte, wäre das mehr als ein Riss für Europa. Das würde an den Grundfesten Europas rütteln. Ich hoffe, dass die französischen Bürger diese Katastrophe von ihrem Land und Europa abwenden.

Europa, dazu regt die Konzertierte Aktion an, soll sich Gedanken machen über den künftigen Weg. Welche Rolle kann die Kirche bei dieser Suche nach Antworten spielen?

Hollerich: Die Kirche kann helfen, zu zeigen, dass gemeinsam immer besser ist als gegeneinander. Die Kirche kann zeigen, dass ein Teilen auch von dem, was man als kulturell und national empfindet, nicht eine Minderung davon bedeutet, sondern eine Mehrung. Die Kirche soll sich zwar nicht zu stark in die Politik einmischen, aber sie muss ihre Stimme erheben, damit ein friedliches, gerechtes Zusammenleben aller Menschen in Europa möglich wird. Ich freue mich, dass die Kommission der Bischofskonferenzen der EU mit Kardinal Marx einen Vorsitzenden hat, der keine Angst hat, diesen Weg einzuschlagen.

In Ihrem Erzbistum liegt der Ort Schengen. Mit der Konzertierten Aktion kritisieren Sie, dass die Schließung der Grenzen im Sommer 2015 ein Rückfall in die Renationalisierung gewesen sei. Wie sehen Sie als „Schengen-Bischof“ diese Grenzschließungen?

Hollerich: Ich habe die Zeit der Grenzschließungen ja noch erlebt – auch wenn wir damals immer wussten, wie wir durch den Wald bei Vianden nach Deutschland kamen… Aber wie schön ist es, dass wir keine Grenzen mehr haben! Der Ruf nach Grenzkontrollen ist etwas, das ich nicht verstehe. Es ist ganz klar, dass das politische Problem der Flüchtlinge nicht national, sondern europäisch gelöst werden muss. Dazu gehört auch eine starke europäische Stimme in der Außenpolitik, die sich vermehrt gegen die Fluchtgründe einsetzt und in Kriegsgebieten wie dem Irak und Syrien für Gerechtigkeit und Frieden einsetzt. Das bedeutet auch, kommende Konflikte gar nicht erst aufkochen zu lassen. Wenn man etwa die Wasserknappheit bedenkt, müssen wir jetzt schon dafür eintreten, dass Wasser ein gemeinsames Gut der Menschheit ist und nicht kommerzialisiert werden darf.

Sie sagen, wir brauchen eine europäische Lösung für die Flüchtlingsfrage. Da sind die Ergebnisse bislang ja eher ernüchternd.

Hollerich: Die sind mager, es ist erschreckend zu sehen, wie man wieder in nationale Interessen zurückfindet. Ich glaube, dass man Deutschland sehr achten muss für seine Flüchtlingspolitik und die Offenheit, die die deutsche Regierung gezeigt hat. Damit ist sie ein Vorbild für andere Regierungen.

Wenn man aber zurückblickt in die Zeiten, als vor allem Länder wie Italien und Griechenland von der Flüchtlingsproblematik betroffen waren, da hat Deutschland ja noch sehr zurückhaltend agiert.
 
Hollerich: Das stimmt. Wir können nicht die Italiener und Griechen allein mit den Flüchtlingen sitzen lassen. Ich bin froh, dass mein Land Luxemburg seinen, wenn auch kleinen, Anteil aufgenommen hat. Europa ist ein Europa der Solidarität – oder Europa existiert nicht. Wenn wir uns nur auf Europa beziehen, wenn wir davon finanzielle Vorteile haben, dann klappt Europa nicht. Viele Flüchtlinge kommen zu uns, weil sie hier ein Traumland der Freiheit sehen. Das ehrt Europa.

Die Verteilung der Flüchtlinge war die eine, ihre Integration die zweite Herausforderung. Denken Sie, dass die bisherigen Bemühungen der Länder ausreichen?

Hollerich: Ich glaube nicht, dass das ausreicht. Wenn ich die Luxemburger Situation betrachte, dann sehe ich kritisch, dass viele Flüchtlinge doch sehr oft in großen Lagern untergebracht wurden, wo recht wenig Integration geschieht. Das Problem sind hier die hohen Mietkosten. Zwar bekommen die Flüchtlinge recht viel Geld, aber davon eine Wohnung zu finden, ist doch sehr schwer. Was mehr Integration bringt, ist das Engagement unserer Pfarreien.

Was macht es mit diesen Pfarreien, die sich in der Flüchtlingsarbeit engagieren?

Hollerich: Sie werden wieder lebendiger; es gibt dort Kontaktpersonen für Flüchtlinge, Sprachkurse, alles Mögliche. Wir leben Christentum! Das hilft den Pfarreien, sich wieder bewusst zu werden, was es bedeutet, Christ zu sein. Einige Menschen warnen davor, Menschen mit islamischem Hintergrund aufzunehmen. Ich kann mich nicht erinnern, irgendwo in der Heiligen Schrift gelesen zu haben, man solle nur den Menschen helfen, die so sind wie wir. Was wir aber auch brauchen, ist eine geregelte Zuwanderung nach Europa.
 
Interview: Michael Merten
Trier, den 22.03.2017

Interview


Hinweise:

Den Gesamttext des „Zwischenrufs“ finden Sie ab sofort regelmäßig monatlich auf katholisch.de. Außerdem wird er über den Facebook-Kanal von katholisch.de zur Diskussion gestellt.

Die Pressemitteilung finden Sie auch unter www.dbk.de und www.zdk.de

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