ZWISCHENRUF im Wahlkampf 2017

Agrarpolitik als Teil von Weltinnenpolitik verstehen


Das Recht auf Nahrung ist nicht ein Recht darauf, ernährt zu werden, sondern ein Recht darauf, dass Menschen sich selbst ernähren können, und die Rahmenbedingungen dafür entsprechend gesetzt werden. Jede und jeder, auch Arme, schlecht Ausgebildete, Flüchtlinge und andere verletzliche und ausgeschlossene Bevölkerungsgruppen, sollen die Chance bekommen, sich eigenständig selbst zu ernähren. Natürlich wird es gleichzeitig immer Men- schen geben, die sich selbst temporär oder langfristig nicht eigenständig versorgen können, z. B. Kleinkinder, Pflegebedürftige, durch Katastrophen Geschädigte, Geflüchtete, Arbeitslose usw. Hier muss der Staat ein soziales Sicherungssystem entwickeln, das diese Menschen unterstützt. 

Aber wer kann sich wie selbst helfen? Wieviel gesellschaftliche Solidarität ist notwendig? Darüber diskutieren wir im Wahlkampf und stellen die Fragen zu sozialpolitischen Vorhaben, zu Arbeitslosengeld, zur Flüchtlings- aber auch zur Agrarpolitik und dem Einkommen bäuerli- cher Betriebe. 

Diese Fragen können wir heute nicht mehr national betrachten - nicht einmal mehr nur EU- weit. Alles ist mit allem verbunden, die EU-Agrarpolitik mit den Nahrungsmittelmärkten in Entwicklungsländern, die Landwirtschaft mit dem Klima oder die Migrationsbewegungen mit den prekären Situationen ländlicher Räume weltweit. Hier ist globale Regierungsführung gefragt, eine Weltinnenpolitik. 

Die internationale Staatengemeinschaft hat Leitlinien zur Umsetzung des Rechts auf Nahrung entwickelt und im Jahr 2015 die UN-Nachhaltigkeitsagenda verabschiedet. Ein wichtiges Ziel in beidem ist, die bäuerliche Produktion weltweit zu schützen. Der Hintergrund ist, dass 70 % der Ärmsten weltweit vor allem im ländlichen Raum und vor allem von der Landwirtschaft leben. Mit ihrer Unterschrift haben sich Deutschland und die EU verpflichtet, das Recht auf Nahrung auch für diese Menschen zu gewährleisten, zumindest nicht zu gefährden. Deswe- gen können auch protektionistische Maßnahmen von Entwicklungsländern gerechtfertigt sein, wie zum Beispiel Importzölle auf Milchpulver aus der EU. Dies kommt zur Geltung, wenn wir durch bestimmte Handels- und Agrarpolitiken die Möglichkeiten von Menschen in anderen Ländern, sich selbst zu ernähren, einschränken. 

Aber auch unsere europäischen Landwirte haben ein Recht auf eine auskömmliche Versor- gung ihrer Familien und ihre berufliche Existenz. Bäuerliche Familienbetriebe im globalen Norden stehen mit ihren Interessen nicht im Gegensatz zu denen im Süden. Die Armen weltweit würden kaum gewinnen, wenn Europas Höfe sterben. 

Zudem stellen wir in Entwicklungsländern Konzentrationsprozesse fest, die wir in Europa längst kennen. So unterliegen wir in Deutschland seit Jahrzehnten einem Strukturwandel, der in Osteuropa gerade in vollem Gang ist. Bauern in Nord und Süd haben zwar unterschiedlich große Höfe und verschiedene Ausgangsbedingungen, aber die Entwicklung scheint für alle
gleich: Preisverfall, Höfesterben, Konzentration der Handelsketten, welche die Nahrungsmit- tel abnehmen, und die Konzentration der zuliefernden Unternehmen in der Agrarindustrie. Kurz: eine immer höhere Abhängigkeit und abnehmende Einkommen der bäuerlichen Betrie- be führen zu Landflucht in Deutschland, in Europa und weltweit. 

Und während die Städte boomen und durch Landflucht die Mieten in Städten steigen und weltweit Slums entstehen, führt die immer intensivere Globalisierung der Nahrungsmittel- märkte überall zur Vernachlässigung der ländlichen Räume. Politisch kann sich das rächen, so finden die Populisten und Autokraten dieser Welt viel Rückhalt, vor allem in ländlichen Räumen. Der Brexit wurde auch von den „Abgehängten“ im ländlichen Raum gewählt. Erdo- gan oder die PiS Partei in Polen begründeten dort ihre Basis und Le Pen und die AfD finden ebenfalls viele Anhänger im ländlichen Raum. Kein Wunder, das stille Sterben der Dörfer sucht nach Sündenböcken in der etablierten Politik. 

Diese Vernachlässigung des ländlichen Raumes wird den politisch Verantwortlichen zuneh- mend bewusst. Sie versuchen, Antworten für den Schutz der bäuerlichen Familienbetriebe zu finden und deswegen ist ihr Erhalt ein Ziel in den Leitlinien zum Recht auf Nahrung und auch in der UN-Nachhaltigkeitsagenda. Die Gründe sind klar, niemand kann auf Nahrungsmittel verzichten, und bäuerliche Familienbetriebe reagieren sehr flexibel auf Krisen oder Markt- schwankungen. Zudem sind sie zentral für die wirtschaftliche und politische Stabilität der ländlichen Räume und der Städte und sie werden noch wichtiger in der Zukunft sein. Sie sind das Rückgrat der ländlichen Wertschöpfungsketten. Denn bäuerliche Betriebe werden nicht nur mehr Nahrungsmittel produzieren müssen, sondern etliche andere Rohstoffe gleich mit. Im Pariser Klimaabkommen wurde der Ausstieg aus den fossilen Ressourcen beschlossen und viele Länder setzen auf Dekarbonisierung und Bioökonomie. Der Materialbedarf der In- dustrie soll in Zukunft zusätzlich zu gesteigerter Nahrungsmittelproduktion auf den Feldern dieser Welt wachsen. Das erhöht den Druck auf die Verwendung von Land. 

Wir haben noch die Wahl: Entweder diese Produkte kommen aus bäuerlichen Familienbe- trieben, welche vielen Menschen Einkommen ermöglichen, oder sie kommen von hochspezia- lisierten und gewerblichen Großinvestoren. Die Produktion von Nahrungsmitteln wird immer Ressourcen verbrauchen. Diskutiert wird jedoch darüber, welche Produktionsform wieviel Natur- und Umweltkosten verursacht. Das Höfesterben führt jedenfalls zu beträchtlichen sozialen Kosten in ländlichen Räumen. Beschleunigt wird dieser besorgniserregende Konzent- rationsprozess in der Landwirtschaft durch die weltweite zunehmende Monopolbildung in der Agrarindustrie. Wir sehen die Abhängigkeit ganzer Staaten von privatem Wissen oder Paten- ten auf Leben. Dies ist für die Ernährungssicherheit, aber auch für die Freiheit von Politikge- staltung beängstigend. 

Deshalb gehört zur Umsetzung des Rechts auf Nahrung die Förderung eigenständiger bäuer- licher Familienbetriebe und ländlicher Entwicklung im Norden wie im Süden. Eine in diesem Sinne nachhaltige Agrar- und Handelspolitik ist Teil verantwortungsvoller Weltinnenpolitik: für alle bäuerlichen Betriebe weltweit - und für uns, deren Nutznießer. 


Bonn, 31. August 2017 Nicole Podlinski

Nicole Podlinski ist Agraringenieurin und Bundesvorsitzende der Katholischen Landvolkbewe- gung (KLB). Sie ist Mitglied der Deutschen Kommission Justitia et Pax.

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