Eine humanitäre und politische Katastrophe muss verhindert werden

Erklärung der Deutschen Kommission Justitia et Pax zum Kriegsbeginn im Mittleren Osten

Die Deutsche Kommission Justitia et Pax unter dem Vorsitz von Bischof Dr. Reinhard Marx (Trier) erklärt am 21. 3. 2003 zum Kriegsbeginn im Mittleren Osten:

Die Krise um den Irak ist in einen Krieg eskaliert. Wir alle wurden in den letzten Monaten Zeugen eines intensiven Ringens innerhalb wie außerhalb der Vereinten Nationen um die richtige Antwort, mit der die internationale Staatengemeinschaft auf die ungeklärte Rüstungssituation im Irak reagieren sollte. In dieser politischen Auseinandersetzung wurde immer wieder vor den Folgen gewarnt, die ein neuer Krieg im Vorderen Orient mit sich brächte. Auch der amerikanische Präsident hat in seiner gestrigen Fernsehansprache an die Bevölkerung der USA eingeräumt, dieser Krieg könne länger dauern und schwieriger werden als von manchen seiner Befürworter vorhergesagt.

Die Deutsche Kommission Justitia et Pax sieht sich einig mit vielen Menschen in den und außerhalb der Kirchen, die auf den Ausbruch dieses Krieges mit Bestürzung und Trauer darüber reagieren, dass es nicht gelungen ist, auf dem bis zuletzt offen gebliebenen Weg einer friedlichen Abrüstung der noch vermuteten irakischen Bestände an Massenvernichtungswaffen weiter voranzuschreiten. Angesichts des menschlichen Leids und der politischen, sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Konsequenzen, die mit jeder Kriegführung verbunden sind, kann der Griff zur Gewalt allenfalls in einer extremen Situation gerechtfertigt sein, in der kein anderes Mittel noch Aussicht auf eine erfolgreiche Abwehr widerrechtlicher Gewaltanwendung verspricht. Diese Alternativlosigkeit vermögen wir in der gegenwärtigen Situation nicht zu erkennen.

Auch die Mehrheit des Mitglieder des UN-Sicherheitsrates konnte bis zuletzt nicht davon überzeugt werden, dass vom Irak aktuell eine derart gravierende und unmittelbare Bedrohung ausgeht, dass ihr anders als durch militärischen Gewalteinsatz nicht entgegengetreten werden kann. Dem amerikanischen Vorgehen fehlt damit eine entscheidende Voraussetzung für völkerrechtliche Legitimität. Angesichts der andauernden politischen Kontroversen um den Handlungsspielraum, den die bisherigen Resolutionen des UN-Sicherheitsrates zur Irak-Problematik eröffnen, gilt es daran festzuhalten, dass eine in der Sache lediglich präventiv begründete Gewaltanwendung nicht zu rechtfertigen ist.

Dies ergibt sich in ethischer Hinsicht bereits angesichts der erwähnten Folgen eines Kriegs für die betroffenen Menschen. Doch auch die Auswirkungen auf die Chancen, das völkerrechtlich verbindliche Gewaltverbot in den internationalen Beziehungen durchzusetzen, müssen in diesem Zusammenhang bedacht werden. Das Prinzip der Friedenssicherung durch eine von der Zustimmung der Völkergemeinschaft getragene Organisation wird insbesondere dann unterlaufen, wenn einzelne Staaten für sich das Recht in Anspruch nehmen, die Grenzen des geltenden Rechts auf Selbstverteidigung in eigener Entscheidung zu interpretieren und auszudehnen. Auf diese Weise werden nicht nur gefährliche Präzedenzfälle geschaffen, auch die Zahl vermeintlich legitimer Kriegsgründe wird vermehrt und so dazu beigetragen, dass die Wiedergewöhnung an Krieg als anscheinend normales Mittel der Politik voranschreitet.

Nun steht die Aufgabe im Vordergrund, den Krieg so rasch wie möglich zu beenden und die Schäden zu begrenzen, die die Kriegshandlungen bewirken - vor allem für die Zivilbevölkerung im Irak, aber auch für die Soldaten auf beiden Seiten. Menschen vor Gewalteinwirkung zu verschonen, von denen keine Gefahr ausgeht, ist eine elementare Pflicht - dies gilt nicht nur in ethischer Hinsicht, sondern ist auch Inhalt der grundlegenden Normen des humanitären Völkerrechts. Daran gilt es vor allem deswegen zu erinnern, weil sich gerade in Kriegssituationen eine gefährliche Eigendynamik der Gewalt durchzusetzen droht, die diese ethischen und rechtlichen Schranken zunehmend durchbricht. Insbesondere verbietet es sich daher für beide Seiten, Massenvernichtungswaffen einzusetzen und damit einer weiteren verhängnisvollen Eskalation der militärischen Auseinandersetzung den Weg zu bereiten.

Das Bestreben, die Schäden des Krieges zu begrenzen, darf sich jedoch nicht auf den unmittelbaren Schutz vor Kampfhandlungen beschränken. Darüber hinaus muss dafür Sorge getragen werden, dass den Opfern des Kriegs - den flüchtenden, verletzten, ihrer Existenzbasis beraubten Menschen, die selbst bei einer begrenzt bleibenden Kriegführung in großer Zahl zu befürchten sind -, die dringend erforderliche Hilfe geleistet werden kann. Es müssen alle Kräfte aufgeboten werden, zu verhindern, dass die Logik des Krieges in eine humanitäre Katastrophe führt!

Eine der wichtigsten politischen Aufgaben in der gegenwärtigen Situation besteht darin, der Gefahr entgegenzuwirken, dass die gesamte Region des Mittleren Ostens weiter destabilisiert wird. So muss so weit wie möglich verhindert werden, dass der Irak unter bürgerkriegsartigen Auseinandersetzungen zerbricht, dass die Kampfhandlungen auf seine Nachbarstaaten übergreifen oder diese durch innere Unruhen selbst schwer erschüttert werden - ebenso aber, dass im Schatten des Irakkriegs der Konflikt um Palästina eine neue Zuspitzung erfährt. Alle am Krieg beteiligten Staaten tragen eine schwere Verantwortung dafür, dass solche Entwicklungen vermieden werden.

Jenseits des aktuellen Konflikts im Irak wird es einer Nachkriegsordnung bedürfen, in der das Verhältnis der westlichen Welt zu den Ländern des Mittleren Ostens auf eine gänzlich veränderte Grundlage gestellt wird. Zu diesen Staaten und ihren Menschen muss eine Beziehung aufgebaut werden, die sie in ihrem berechtigten Anspruch auf Respekt als gleichrangige Mitglieder der Völkergemeinschaft anerkennt und dem in der Region seit langem bestehenden Eindruck wehrt, westliche Politik sei dort in erster Linie an wirtschaftlich-politischer wie kultureller Dominanz interessiert. Nur dann besteht Hoffnung darauf, nach dem Ende des Krieges Demokratisierungsprozesse in der arabischen Welt zu befördern und Menschenrechten zum Durchbruch zu verhelfen. Wir bekräftigen erneut, was wir in unserer Erklärung vom 19. Oktober 2002 formulierten: Nur wenn alle Völker der Region den begründeten Eindruck gewinnen, dass ihre Interessen in den Machtzentren der internationalen Politik ernsthaft berücksichtigt werden, kann langsam jenes Vertrauen wachsen, ohne das es keinen Frieden gibt und stattdessen ständig mit dem Ausbruch neuer Krisen gerechnet werden muss.

 

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